Mit 100 Jahren so jung wie nie

Interview mit STADT UND LAND-Chef Ingo Malter zu Beginn des großen Jubiläumsjahrs

Mit 100 Jahren so jung wie nie

Seit 1924 prägt die STADT UND LAND das Gesicht Berlins entscheidend mit. Trotz Jubiläum: Der Blick von Geschäftsführer Ingo Malter (62) ist nur nach vorn gerichtet, denn die Zukunftsaufgaben haben es in sich. Das landeseigene Unternehmen muss in erheblichen Größenordnungen Wohnungen bauen, die Mieten moderat halten, die Gebäude bis 2045 klimaneutral gestalten und digitaler werden. Was bereits gut klappt und wo es Schwierigkeiten gibt, verrät der STADT UND LAND-Chef im Interview.

 Ein Jahrhundert ist vergangen, seit die STADT UND LAND in Zeiten größter Wohnungsnot gegründet wurde, um bezahlbare Wohnungen für breite Bevölkerungsschichten in Berlin zu bauen. Wie werden Sie dieses besondere Jubiläum begehen, Herr Malter?

Wir wollen uns von den üblichen 100-Jahr-Feierlichkeiten etwas absetzen. Dazu gehört, dass wir auf eine dicke Festschrift voller Hochglanzbilder verzichten. Wir stellen unsere vielen ohnehin geplanten Veranstaltungen ins Zeichen des Geburtstages und werden sie um gesellschaftliche Themen anreichern. So lässt sich die Botschaft, dass die STADT UND LAND jetzt schon 100 Jahre in Berlin zu Hause ist, das ganze Jahr über transportieren und verpufft nicht gleich wieder. 

 

■ Neben Traditionsevents wie dem Hellersdorfer Balkonkino und dem Festival der Riesendrachen ist im Veranstaltungskalender vergangenes Jahr die Neuauflage des Formats „STADT UND LAND im gesellschaftlichen Dialog“ aufgetaucht. Gibt es davon künftig mehr?

Auf jeden Fall. Wir fühlen uns nach der erfolgreichen Auftaktveranstaltung sehr ermutigt, weiterzumachen. Ich bin an diesem Abend geradezu euphorisch nach Hause gefahren. Das Format hat einfach gesessen – von der Location bis zur Moderation. Wir hatten ein hochkarätig besetztes Podium und konnten mit Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin einen der wichtigsten lebenden Philosophen Deutschlands als Gastredner gewinnen. Geplant ist, den Kreis der geladenen Gäste künftig noch auszuweiten und zwei bis drei dieser Veranstaltungen jährlich zu etablieren.

 

■ Nun ist es nicht die originäre Aufgabe einer Wohnungsbaugesellschaft, Diskussionsrunden zu gesellschaftlich relevanten Themen durchzuführen. Warum machen Sie es trotzdem?

Ich habe das Gefühl, die Zeiten verlangen danach, dass ein landeseigenes Unternehmen auch an dieser Stelle einen Beitrag zum öffentlichen Diskurs leistet. Wir wollen darüber sprechen, in welche Richtung wir uns als Gesellschaft bewegen, über welche Entwicklungen wir uns Gedanken machen müssen und worüber wir uns freuen können.

 

■ Sie sehen die Art und Weise, wie heutzutage Informationen verbreitet und Diskussionen geführt werden, sehr kritisch. Das haben Sie auf der Veranstaltung im November betont. 

Ja, vor allem stört mich dieses Schwarz-Weiß-Denken im öffentlichen Diskurs. Es gibt oft nur noch dafür oder dagegen – entweder oder. Doch so einfach ist es im Leben nicht. Während in den Kommentarspalten der sozialen Medien Empörung, Wut und Hassreden an der Tagesordnung sind, wollen wir mit unserer Veranstaltungsreihe exemplarisch zeigen, wie Themen nicht im klassischen Pro-Contra-Stil, sondern aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden können. Wie man konstruktiv, respektvoll und aufgeklärt diskutiert, ohne dass am Ende Gewinner oder Verlierer vom Tisch gehen müssen. 

 

■ Verbringen Sie viel Zeit auf Social Media?

Nein, ich persönlich habe mich bewusst dagegen entschieden. Das ist sicher auch eine Altersfrage. Außerdem bin ich täglich durch E-Mails, Telefonate, Termine, persönliche Gespräche und Veranstaltungen mit Informationen überflutet. Da braucht es keinen weiteren Kanal. Als Unternehmen, das inzwischen auch stark von jüngeren Menschen geprägt ist und Wohnungen an alle Generationen vermietet, kommen wir allerdings nicht umhin, in den sozialen Netzwerken künftig präsenter zu sein.

 

■ Bei Ihnen ist gerade ein Kundenportal in der Entwicklung. Welche Vorteile haben Mieterinnen und Mieter denn davon?

Sie können online zum Beispiel ihre Vertragsdaten einsehen, Dokumente herunterladen, sich sonstige Informationen holen, rund um die Uhr Reparaturmeldungen an uns weiterleiten und Fragen stellen. Hinter dem Kundenservice steht ein First- und Second-Level-Support. Die Gespräche führen sowohl Menschen als auch Maschinen. In den Testläufen konnte Künstliche Intelligenz in der Hälfte der Fälle das Problem im Erstkontakt schnell lösen. Das ist eine beachtliche Quote. Wir wollen mit dem Portal noch in diesem Jahr an den Start gehen.

 

■ In den vergangenen Wochen wurde in den Medien über die anstehenden Mieterhöhungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften für über 120.000 Haushalte berichtet. Von der Mietlobby kommt Kritik.

Aus Mietersicht sind die Erhöhungen natürlich nicht angenehm. Ich kann nur um Verständnis bitten und versuchen, aufzuklären. Alle Kostensteigerungen dieser Welt machen vor der Wohnungswirtschaft nun mal nicht halt. Wir haben Tarifabschlüsse, die zu höheren Löhnen führen. Wir müssen Dienstleistungsunternehmen bezahlen, die ihre Material- und Lohnkostensteigerungen an uns weitergeben. Das zwingt auch uns, die Preise anzupassen. Die im Herbst mit dem Land Berlin geschlossene Kooperationsvereinbarung erlaubt wieder moderate Mietsteigerungen. Wir gehen da sehr behutsam vor und so sozial verträglich wie möglich. 

 

■ Inwiefern?

Jedem Haushalt wird angeboten, sofort mit uns ins Gespräch zu gehen, wenn er sich durch die höhere Miete überfordert fühlt. Es gibt Verabredungen und Regelungen, unter welchen Umständen wir die Erhöhungen teilweise oder ganz aussetzen. Zum Beispiel soll die Nettokaltmiete nicht mehr als 27 Prozent des Haushaltseinkommens ausmachen. 

Außerdem bieten wir mit eigener Expertise und diversen Kooperationspartnern vielfältige Unterstützung an – etwa beim Wohnungswechsel oder wenn jemand in der Schuldenfalle sitzt. Hervorzuheben ist hierbei die Arbeit unseres Tochterunternehmens SOPHIA, das vor Ort in den Quartieren in sozialen Fragen berät und Hilfe leistet. 

 

■ Wie sehr gehen Sie mit den Mieten rauf?

Wir haben 27.000 Schreiben verschickt, davon gingen etwas über 12.000 nach Marzahn-Hellersdorf. Die Erhöhungen für die betroffenen Mieterhaushalte bewegen sich im Schnitt bei 5 bis 6 Prozent. Ein Rechenbeispiel macht es vielleicht anschaulicher: Die Durchschnittsmiete bei der STADT UND LAND liegt bei 6,30 Euro. Für eine 70-Quadratmeter-Wohnung fiele nach einer Erhöhung um 5 Prozent demnach eine Kaltmiete von 463,05 Euro statt der bisherigen 441 Euro an. Weil die Mieten im Warenkorb der privaten Haushalte der größte Einzelposten sind, fallen Preissteigerungen hier viel mehr auf. Mir ist aber wichtig zu betonen, dass alle anderen Konsumgüter wie etwa Lebensmittel in den zurückliegenden Jahren deutlich schneller und in Größenordnungen teurer geworden sind. Es ist leider so, dass für unser Unternehmen moderate Mietsteigerungen unumgänglich sind. 

 

■ Sie müssen neue Wohnungen bauen, die Bestände in Schuss halten …

… und dann wäre da für Berlin noch das ehrgeizige Ziel der Klimaneutralität bis 2045. Damit unsere Bestände im Betrieb möglichst kein CO2 mehr ausstoßen, müssen wir in erheblichem Umfang in die Gebäude investieren. Das wird eine riesige Kraftanstrengung, die wir aber mit viel Verve angehen und dabei immer nach dem smartesten Weg suchen.

 

■ Der da wäre?

Energetische Verbesserungen werden dort zuerst vorgenommen, wo sowieso Sanierungen anstehen, um die Gebäude nicht zweimal „anfassen“ zu müssen. Wir haben eine grobe Übersicht über die erforderlichen Maßnahmen. Wenn Wohnanlagen schon ans Fernwärmenetz angeschlossen sind, brauchen wir uns beispielsweise nicht mehr über Heizungsumstellungen den Kopf zerbrechen. 

 

■ Wie viele Ihrer 52.000 Wohnungen beziehen Fernwärme?

Circa 70 Prozent der Bestände. Was nicht heißt, dass wir dort überhaupt nicht mehr tätig werden müssen. In den Anlagen kann zum Beispiel die Wärmedämmung noch nicht ausreichend sein oder aber es müssen Fenster ausgetauscht werden. 

 

■ Was wird das Ganze kosten?

Nach aktuellen Berechnungen benötigen wir eine Milliarde Euro. Wobei das nur eine sehr grobe Zahl ist. Wir reden ja von 21 Jahren bis 2045 und können noch gar nicht seriös abschätzen, wie unsere Bestände in dieser Zeit altern und welche Technologie- und Kostenentwicklungen am Markt stattfinden. Es ist auf jeden Fall eine ganze Menge Geld. Hinzu kommen etwa 220 Millionen Euro, die wir jedes Jahr für die Bestandspflege und den Neubau ausgeben. Wir sind auch nicht das einzige Unternehmen, das diese Investitionen tätigen muss. Wir greifen also alle auf dieselbe Bauindustrie zurück, die stark von Materialknappheit und Fachkräftemangel betroffen ist. Aus heutiger Sicht rechne ich mit Schwierigkeiten bei der termingerechten Umsetzung. 

 

■ Wie kommt die STADT UND LAND denn derzeit mit dem Neubau voran?

Das Bauen selbst bereitet uns momentan überhaupt keine Probleme. Die Maschine läuft. Wir wissen, worauf wir achten müssen und machen Anfangsfehler kein zweites Mal. In Marzahn-Hellersdorf laufen drei Projekte: in der Bodo-Uhse-Straße, der Lily-Braun-Straße und der Rabensteiner Straße. Auch große Vorhaben wie die Buckower Felder, wo 900 Wohnungen entstehen, gehen gut voran. Dafür aber sind die Hemmnisse vor dem ersten Spatenstich enorm.

 

■ Was genau bremst Sie aus?

Die Bürokratie zum Erlangen von Baurecht zum Beispiel. Es dauert in Berlin oft sehr lange, bis B-Planverfahren abgeschlossen und Bauanträge bearbeitet sind. Auch die Vergabeverfahren gestalten sich oft schwierig. Ab einem bestimmten Volumen müssen wir europaweit ausschreiben. Das bedeutet viel Aufwand, obwohl die Erfahrung der letzten zehn Jahre gezeigt hat, dass von außerhalb Deutschlands keine Bewerbungen kommen. Ich will damit sagen: Wir sind in vielen Bereichen schlichtweg überreguliert und brauchen dringend Vereinfachungen. Würden wir heute den Standard von 1964 bauen, kämen wir um einiges günstiger und schneller voran. Aber das geht nicht, weil die gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich Lärm- und Schallschutz, Energetik, Artenschutz & Co. extrem zugenommen haben. Gleichzeitig hat aber offenbar niemand ein Problem damit, dass Hunderttausende Menschen in Berlin in einem Wohnungsstandard von 1964 leben.

 

■ Manchmal können auch Anwohnerproteste Bauvorhaben verzögern – wie im Fall der Lily-Braun-Straße. 

Uns liegt jetzt die Baugenehmigung vor und wir werden das Projekt so realisieren können, wie wir es von Anfang an kommuniziert hatten. Dass Menschen es nicht gut finden, wenn ihnen ein Neubau vor die Nase gesetzt wird, ist völlig nachvollziehbar. Als öffentliche Wohnungsbaugesellschaft aber müssen wir die ganze Stadt langfristig im Blick haben. Wenn wir immer nur diese Blitzlichtaufnahme der momentan Betroffenen zum Maßstab nehmen, würden in Berlin gar keine neuen Wohnungen entstehen. Wir bekommen ja überall zu hören: Baut bitte woanders, nur nicht hier. 

 

So könnten die Häuser in der Lily-Braun-Straße aussehen. Geplant sind 150 Mietwohnungen. Visualisierung: Kondor Wessels
So könnten die Häuser in der Lily-Braun-Straße aussehen. Geplant sind 150 Mietwohnungen. Visualisierung: Kondor Wessels

 

■ Wären Innenhofbebauungen in Marzahn-Hellersdorf überhaupt ein Thema, wenn der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld vor zehn Jahren anders ausgegangen wäre?

Ich denke schon. Die Wohnungsknappheit in der Stadt wäre zwar allein mit einer Randbebauung des Tempelhofer Feldes nicht gelindert. Aber wir brauchen diese Wohnungen dringend. Deswegen finde ich es richtig, dass man jetzt noch einmal in den Dialog eintritt.

 

■ Hätten Sie Lust, dort Wohnungen zu errichten?

Klar. Wir würden sofort hier rufen, weil wir viele Bestände im unmittelbaren Umfeld besitzen und uns dem Standort mindestens so verbunden fühlen wie Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick.

 

■ Müssten Sie sich fürs Drachenfestival, das im letzten September wieder über 100.000 Menschen aufs Tempelhofer Feld gelockt hat, dann einen anderen Ort suchen?

Keineswegs. Ich glaube die meisten Menschen haben gar keine genaue Vorstellung, wie groß rund 350 Hektar tatsächlich sind. Da passt das Drachenfest trotz Randbebauung locker mehrfach drauf. Es ist ein echter Luxus, neben dem Tiergarten, der übrigens 240 Hektar groß ist, dieses Feld in der Innenstadt zu haben und es gänzlich unbebaut zu lassen.

 

■ Lassen Sie uns abschließend noch einmal nach Marzahn-Hellersdorf blicken – genauer gesagt ins Gut Biesdorf. Wird das Stadtteilzentrum in diesem Jahr die neuen Räume im denkmalgeschützten Pferdestall beziehen können?

Davon gehe ich aus. Auch die anderen historischen Gewerbebauten werden in dem ansonsten längst fertiggestellten Wohnquartier hoffentlich bald folgen. Es hat lange genug gedauert, weil wirklich alles Ungünstige zusammengekommen ist. Auch die bezirkliche Denkmalpflege hat es uns diesmal nicht gerade leicht gemacht.

 

■ Was wünschen Sie sich für 2024?

Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Welt wieder friedlicher wird und vor allem die Schlachten in der Ukraine und im Gazastreifen ein Ende finden. Das wäre das Allerwichtigste. Aus unternehmerischer Perspektive wünsche ich mir, große Schritte mit unseren Hauptaufgaben – Neubau, Bestandspflege, stabile Nachbarschaften und moderate Mietpreisgestaltung – voranzukommen. Ich sehe die STADT UND LAND da auf einem guten Weg und blicke trotz aller Herausforderungen optimistisch in die Zukunft. Das Unternehmen wird zwar 100 Jahre alt, ist aber in vielerlei Hinsicht jünger als es jemals war. 


Das Interview ist als Sonderveröffentlichung zuerst in unserer Januar-Ausgabe erschienen.