Blau-Liebhaber und Seuchen-Reporter

Journalist Kai Kupferschmidt ist gerade schwer gefragt

Blau-Liebhaber und Seuchen-Reporter

Kai Kupferschmidt Ende Oktober bei einer Lesung in der Mark-Twain-Bibliothek
Kai Kupferschmidt Ende Oktober bei einer Lesung in der Mark-Twain-Bibliothek

„Alle Journalisten, die ich kenne, sind gierige Leser“, sagt Kai Kupferschmidt. Auch er habe als Kind jede Menge Zeit in Bibliotheken verbracht. „Ich kann mich gut daran erinnern, immer viel zu viele Bücher mit nach Hause genommen zu haben.“ 

An diesem Donnerstagabend Ende Oktober ist der 38-jährige Wahlberliner wieder einmal in einer Bibliothek zu Besuch. Doch statt Bücher zu entleihen, hat er welche mitgebracht. Aus der kleinen Leseratte von einst ist nämlich ein Autor geworden – ein Molekularbiologe und Wissenschaftsjournalist noch dazu. Sein Spezialgebiet: Infektionskrankheiten. Seit mehr als zehn Jahren schreibt Kai Kupferschmidt über Pest und Pocken, Cholera und Hepatitis C, HIV und Syphilis. Er hat aus Liberia über Ebola berichtet, aus Südkorea über MERS und ist mit seiner Expertise seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie gefragter denn je. Für führende deutsche Medien wie Die Zeit und die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt der Seuchen-Experte über die Krise. Zudem ist er Korrespondent für das renommierte US-amerikanische Wissenschaftsjournal „Science“ und Teil des Teams hinter dem Podcast „Pandemia – Die Welt. Die Viren. Und wir.“

 

Über sein jüngstes Buch, das im Oktober 2019 bei Hoffmann & Campe erschienen ist, sagt der Medienpreisträger der Deutschen Aids-Stiftung beim Auftritt im Freizeitforum Marzahn: „Ich wollte damit zeigen, dass Wissenschaft nicht nur schwer und kompliziert sein muss, sondern auch wahnsinnig schön sein kann.“

Um Seuchen geht es in der 240 Seiten umfassenden Publikation allerdings nicht. Vielmehr ist „Blau: Wie die Schönheit in die Welt kommt“ eine Liebeserklärung an die kostbarste Farbe von allen. Um ihr Geheimnis zu ergründen, hat Kai Kupferschmidt jahrelang recherchiert und sich dem Farbton aus den unterschiedlichsten Perspektiven genähert. Er wirft in seinem Buch einen Blick in den Farbwortschatz vergangener Epochen und verschiedener Kulturen, schreibt darüber, wie der Eindruck von Blau in unserem Kopf entsteht und wie Sprache unsere Farbwahrnehmung beeinflusst. Auch geht er der Frage nach, warum uns Blau in der Tier- und Pflanzenwelt so selten begegnet und wieso Künstler und Könige einst Unsummen ausgaben, um an die Farbe zu gelangen.

 

Wie unterhaltsam diese Betrachtungen mitunter sind, davon bekommt das Publikum in der Mark-Twain-Bibliothek einen Eindruck, als der Autor eine kleine Passage aus seinem Buch zum Besten gibt, in der er über Redewendungen und widersprüchliche Wortbedeutungen sinniert. So stellt Kupferschmidt fest, dass jemand, der einen „Blaumann“ anhat, ein Arbeiter ist, wohingegen jemand, der „blaumacht“, alles tut, außer arbeiten. Bei der „Blaupause“ wiederum handele es sich um einen Plan, während Menschen ohne Plan „ins Blaue hineinleben“.

 

Nach diesem kurzen humorvollen Ausflug in die Irrungen und Wirrungen unserer Sprache, wendet sich der Journalist im weiteren Verlauf des Abends den ernsteren Themen zu. Gespannt lauschen seine Zuhörer, was der Infektionskrankheiten-Reporter zu seinem Erstlingswerk „Seuchen“ von 2018 und der aktuellen Lage in der Pandemie zu sagen hat. Er finde es bemerkenswert, erläutert Kupferschmidt, dass heutzutage mitunter nicht besser mit Epidemien umgegangen werde als noch vor 100 Jahren. „Die Maskenverweigerer gab es auch schon 1918 bei der Spanischen Grippe“, führt er als Beispiel an. Auch hätten bedrohliche Krankheiten die Menschen schon immer empfänglicher für Gerüchte, irrationale Erklärungsmuster und Verschwörungstheorien gemacht. In der Bekämpfung der aktuellen Pandemie würde er sich hierzulande wünschen, den Blick mehr zu weiten. „Wenn sie sich auf der Welt umgucken, dann können sie feststellen, wie unterschiedlich Gesellschaften selbst jetzt, im Jahr 2020, mit der gleichen Infektionskrankheit umgehen.“ Während westliche Länder eine zweite Welle nicht verhindern konnten, sehe es in Teilen Asiens wie etwa Neuseeland, Japan und Südkorea komplett anders aus.